SYMPOSIUM 

Papierfabrik Hohenofen - ein Sinneseindruck

"Eigentlich müsste man ein Buch machen", mit einer Arbeit aus Papier eine
Annäherung an die Produktionsstätte für Papier versuchen. Ein Buch würde
man in Händen halten können, es bliebe vermutlich aber eher kleinformatig
und könnte nur wenig präsent sein im Raum. Doch der Ort, die Fabrik als
Ausstellungsraum, fordert nahezu eine Antwort in dreidimensionaler Form, etwas,
was direkt reagiert auf die überbordende Formenfülle innerhalb der Anlage.
Hoher Ofen, eine Schmelzhütte gibt einem winzigen Dorf den Namen,
das war im 17. Jahrhundert. Aus dem Schmelzwerk wird eine Papierfabrik,
nahe gelegen am Flüsschen Dosse scheint sich dies anzubieten. Denn für die
Erstellung von Papier braucht es viel Wasser. Und das Wasser fließt, von
unten über einen Kanal, der zur Fabrik gegraben wurde, es fließt durch
unzählige Rohre, wird gepumpt in den 1. Stock, fließt weiter und ergiesst
sich in den "Badewannen", in denen der Papierbrei gekocht wird.

Der Stoff aus dem Papier gemacht wird, muß geduldig sein, er wird gerissen,
dann unermüdlich gemahlen, erhitzt, gefiltert, getrocknet, gefilzt, gepresst.
Ich stelle mir vor, wie die Pulpe, der Papierbrei, ein Matsch, ein Schlamm durch
die Mühlen in den Wannen getrieben wird, ein Gluckern, ein Schmatzen, die Becken
bis obenhin gefüllt. Ränder am Beckenrand zeugen noch davon. Abends mische ich
Beton an, mit dem Quirl grabe ich mich in den Bottich, füge nach und nach Wasser
hinzu und denke wieder an den Papierbrei, stelle mir Plastiken, die ich normaler-
weise in Beton giesse, aus Papierbrei, Pappmachè vor. Groß und vor allem leicht.

Der Papierbrei fließt durch Kilometer von Rohren durch die Räume nach unten, wird
dort ausgespuckt und landet auf der Papierstrasse, ein meterlanges Rollen- und
Räderwerk bringt am Ende das fertige Transparentpapier hervor, nach der abenteuer-
lichen Reise durch den Bauch der Maschinerie ein sachliches, nüchternes Produkt.

Hohenofen ist Architektur in Reinform, Skulptur pur, eine technische Anlage, bestehend
aus einer Reihe von Organen, Eingeweide aneinanderhängt, Verdauungsorgane, einge-
fasst von alten Backsteinwänden.
Und heute eine Ruine, eine Industriebrache. Dieser Stillstand setzt Imagination frei, der
Ort könnte zum Kunstraum werden.

Ich habe mir Papier mitnehmen dürfen aus der Fabrik, Transparentpapier, ich schneide
mir kleine Formate zurecht, das Papier eignet sich gut zum Zeichnen, der Bleistift
geht weich und schwarz darüber. Bei der Tusche wellt es sich stark, aber das stört
nicht. Auf dem Papier entwickle ich Formen, die aneinanderhängen, kleine Kreisläufe,
Objekte, die sich gegenseitig speisen, mit Schläuchen verbunden sind; über einen
Schlauch, eine Nabelschnur, Kontakt aufnehmen zu anderen Formen, Teil eines
geschlossenen Kreislaufs werden.
Faszinierend für mich der Kreislauf des Wassers in der Papierfabrik, alles ist dadurch
miteinander verbunden, Wasser pumpt und spült sich durch die gesamte Anlage, wird
zur Pulpe, diese dann zum fertigen Trockenstoff Papier, Wasser durchspült und reinigt
am Ende Rohre und Becken der Mühlen.
Aus diesen ersten Skizzen könnten sich Skulpturen entwickeln, aus Beton, oder weiß
gefasster Keramik, mit Schläuchen aus Gummi, Papier, Filz.

Ich denke an eine Installation in der Fabrik, in einer Ecke des Packraumes oder
im Raum der Papiermühlen. Aus einem gefäßartigen Objekt an der Decke tropft
beständig Wasser auf ein Haus aus Zucker. Zucker ist weiß und leuchtet, ein Fremd-
körper in der morbid grau-blauen Farbigkeit der Fabrikräume. Ich stelle mir vor,
wie sich das Haus allmählich unter dem Tropfen auflöst, wie ein weißer, kristallener
Brei zu Boden fliesst, sich im Wasser verliert, eine trübe Lache zurücklässt.
Ich sehe die Spuren des Verfalls in Hohenofen durch das eindringende Wasser von
oben, überall Löcher in den Decken, Flecken von Feuchtigkeit. "Wir sind doch nicht
aus Zucker", diesen Spruch sagten wir als Kinder, wenn wir im Regen spazieren gingen
und uns sicher waren, dass uns der Regen nichts anhaben konnte.

Anna Arnskötter